Museumsdorf Cloppenburg
30. August 2020

Kürzlich besuchte ich in Niedersachsen das erste Freilichtmuseum Deutschlands; das Museumsdorf Cloppendorf. Bisher kannte ich mit Skansen in Stockholm das erste Freilichtmuseum Europas und aus meiner Kindheit Kommern in der Eifel. Cloppenburg hat mein Interesse dafür noch einmal neu geweckt. Ich wollte so viel wie möglich wissen zum Thema Freilichtmuseen und der Geschichte des Museumsdorfes.

Was sind Freilichtmuseen eigentlich?

Danach gefragt würde ich spontan antworten „lebendige Museen“. Und das trifft es wohl auch am besten. Nirgends sonst lässt sich so erlebnisreich Geschichte und Kultur vermitteln.

Freilichtmuseen widmen sich der Sammlung, Bewahrung und Ausstellung ländlich geprägter Kulturgüter und Alltagsgeschichte. Die präsentierten Gebäude, Hofanlagen und Wirtschaftsformen vermitteln sehr anschaulich Leben & Arbeiten vergangener Epochen. Dass es sich dabei in der Mehrheit um wissenschaftlich geführte Einrichtungen handelt, hat mich überrascht. Vielleicht habe ich aber auch nur nie darüber nachgedacht.

Woher kommen die Ausstellungsstücke? Die historischen Bauwerke werden transloziert. D.h. sie werden an den ursprünglichen Standorten dokumentiert, Stück für Stück abgetragen und beispielsweise auf dem Gelände eines Freilichtmuseums originalgetreu wiederaufgebaut. Meist bleibt auch die ursprüngliche Ausstattung erhalten, ohne die es wohl auch nur halb so reizvoll wäre.

Durch Wohnstuben oder wirtschaftliche Betriebe unserer Vorfahren zu laufen ist ein durchaus intensiver Einblick und sinnliches Nachempfinden längst vergangener Zeiten. Kein Wunder, dass Freilichtmuseen hohe Besucherzahlen verzeichnen. Allein in Deutschland sind es 6 Millionen pro Jahr.

Doch Freilichtmuseen bedienen weitaus mehr als Freizeit- und Bildungsaspekte. Seit mehr als 100 Jahren sind ihre Ziele der Erhalt, Erforschung und Präsentation vor- oder frühindustriellen ländlichen Arbeitens und Lebens. Interdisziplinär beteiligt sind dabei Volkskunde, Landes- & Agrargeschichte, Archäologie, Haus- & Bauforschung sowie Ökologie. Sonderausstellungen und zahlreiche Publikationen lassen interessierte Besucher daran teilhaben.

Museumsdorf Cloppenburg

Das Museumsdorf im Oldenburger Münsterland ist das erste Freilichtmuseum Deutschlands. Seine Gründungs- und Entstehungsgeschichte in den Jahren zwischen den beiden Weltkriegen ist mehr als interessant zu lesen, wirft aber auch so manche Fragen auf …

Vorläufer war das 1922 begründete „Heimatmuseum für das Oldenburger Münsterland“. Mit dem Aufbau wurde der Studienrat Dr. Heinrich Ottenjann betraut. Man brachte das Museum zunächst im Realgymnasium in Cloppenburg unter. Dort unterrichtete Ottenjann damals noch, bis er 1932 erstmalig beurlaubt wurde. Nun konnte er seinen Aufgaben im Museum ungeachtet von Stundenplänen nachkommen. Doch die Räumlichkeiten der Schule reichten schon lange nicht mehr. Die Objektsammlung nahm stetig zu. Ein neues Museum musste her.

Dabei spielte in den Folgejahren ein Erlass des Reichserziehungsministeriums eine entscheidende Rolle. Ab Januar 1935 wurden nur noch Museumsgründungen ermöglicht, die den Vorgaben der NS-Kulturpolitik entsprachen. U.a. sollten damit Museen als Erziehungsinstitutionen für die Verbreitung der NS-Ideologie genutzt werden.

Zur Durchsetzung wurden Museumspfleger eingesetzt. Sie sollten u.a. sicherstellen, dass „alle Fortschritte wissenschaftlicher, museumstechnischer und volkserzieherischer Art“ in die Arbeit der Museen integriert wurden. Für den Gau Weser-Ems wurde u.a. Heinrich Ottenjann benannt. Doch gehen wir noch einmal einige Jahre zurück.

Vom Heimatmuseum zum Museumsdorf

Inspiriert durch das Freilichtmuseum Skansen in Stockholm nahm Ottenjanns Planung konkrete Gestalt an. Er hatte die Vision eines Museumsdorfes für Cloppenburg. 1933 sprach er zum ersten Mal öffentlich darüber. Die nationalsozialistische Regierung zeigte ein großes Interesse an diesem Vorhaben. Ein Freilichtmuseum passte nicht nur hervorragend zu ihrer völkischen Ideologie, sondern versprach zudem Grund- und Kapitalvermögen.

So erhielt das Museum eine entsprechende Förderung durch Gauleitung und NS-Staatsregierung. Der Reichsstatthalter Carl Röver übernahm die Schirmherrschaft. Im Gegenzug musste das Museumsdorf nach der Eröffnung immer wieder als Kulisse für propagandistische Inszenierungen und Aufmärsche herhalten. Diese Kundgebungen sorgten letztlich auch immer wieder für neue staatliche Gelder. Insgesamt besehen sind die Finanzierungsquellen des Museumsdorfes rückblickend bedenkenswert.

Fraglich ist, welche Rolle genau Ottenjann bei all dem einnahm. Auf welcher Seite stand er tatsächlich? Inwieweit spiegelte das Museumsdorf damals nationalsozialistische Ideologien wider? Diese und andere Frage lassen sich bis heute nicht eindeutig klären. Fakt ist; das Nazi-Regime sah große Nutzen in dem Museumsdorf. Es sollte nach ihren Vorstellungen zur nationalsozialistischen Kultstätte werden.

So muss davon ausgegangen werden, dass die Blut-und-Boden-Ideologie und auch der damals vorherrschende Heimatschutz bei der Gründung des Museumsdorfes und seiner Gestaltung im Vordergrund standen. Daher kann wohl von entsprechender Einflussnahme bei den Planungen ausgegangen werden. Doch so wie die Nazis vom Museum in den Folgejahren profitierten, so profitierte das Museum unzweifelhaft von den Nazis.

Am 2. Januar 1934 wurde das Freilichtmuseum in Cloppenburg gegründet, der erste Spatensatich erfolgte am am 20. August 1934. 1935 wurden mit offizieller Unterstützung passende Grundstücke von insgesamt 15 ha mitten in der Stadt und erste Gebäude erworben. .Als Sammlungsgut standen nun neben den üblichen Objekten vor allem Häuser, Teile von Hofanlagen, Werkstätten, Mühlen und ein Adelssitz im Fokus. Dabei bezog man weit über die Region des Oldenburger Münsterlandes hinaus weitere Gebiete mit ein.

Transloziert wurden zunächst der Quatmannshof (Elsten), ein Dreschhaus (Osteressen) sowie ein Speicher (Norddöllen). Das Herrenhaus Arkenstede wurde gestiftet. Die Aufbauten wurden mit Hilfe von Teilnehmern des freiwilligen Arbeits-, des Reichsarbeitsdienstes aber auch von Kriegsgefangenen geleistet.

Mit der Fertigstellung des Quatmannshofes als erstem Gebäude erfolgte am 21. Mai 1936, die Eröffnung des Museumsdorfes. In den darauffolgenden Jahren wuchs es beständig bis in den zweiten Weltkrieg hinein. Die letzte Anschaffung in dieser Zeit war 1941 eine Kappenwindmühle aus Bokel.

1944 zählte man 20 Gebäude auf dem Gelände. Gegen Ende des zweiten Weltkriegs wurde die Stadt Cloppenburg von schweren Bombenangriffen getroffen. Nach heftigem Artilleriefeuer erlitt auch das Museumsdorf Kriegsschäden. Der als Cloppenburger Wahrzeichen bekannte Quartmannshof ging samt seiner sieben Nebengebäude in Flammen auf. Ein schmerzlicher Verlust! Doch aufgrund vorliegender Zeichnungen konnte Ottenjann den Hof in den 1950er Jahren mit Spenden als Kopie wieder aufbauen lassen.

Das Museum wuchs weiter. 1966 zählteMuseumsdorf  34 originalgetreue Gebäude und es sollten in den darauffolgenden Jahren noch viel mehr werden. Bis 1997 konnten 53 Bauten Besichtiigt werden.

Kritik an Ottenjann

Der Neuaufbau der angekauften Gebäude entsprach nicht immer streng wissenschaftlichen Kriterien. Die Gebäude sollten auch der romantisierten Vorstellung des Landlebens früherer Zeiten entsprechen. Dafür nahm Ottenjann an der ein oder anderen Stelle auch Veränderungen vor. So wurden beispielsweise im Laufe der Zeit entstandene Umbauten o.ä. in den jeweiligen Urzustand zurückversetzt.

Doch mag man ihm das verdenken? Wenn ich richtig gelesen habe, dann war diese Vorgehensweise damals nicht unüblich. Vielleicht fehlte ihm als Studeinrat auch an der ein oder anderen Stelle fundiertes Fachwissen für ein solches Museumsprojekt?

Ein weiterer Kritikpunkt ist die Frage, in welcher Beziehung er zu den Ideologien der Nationalsozialisten stand. War er ein geschickter Taktierer in einem zwangsläufigen, unvermeidbaren Umgang mit ihnen? Oder stand er dem Ganzen näher als er zugeben wollte? In dieser Frage scheiden sich die Geister. Zumal es nur dokumentarische Aufzeichnungen aus dieser Zeit von Ottenjann selber gibt.

Das Museum und die Nazis; eine Vergangenheit, der sich die Kultureinrichtung kritisch stellt. Mit entsprechenden Projekten wie beispielsweise der Provinienzforschung wird das Thema immer wieder aufgearbeitet. All das trägt sicherlich noch einmal zu einem viel tieferen und unerlässlichen Verständnis jener Zeit bei.

Trotz der Kritik muss man anerkennen, dass Heinrich Ottenjann einiges geleistet hat. Ob es das Museumsdorf ohne ihn überhaupt gäbe? Es scheint, er hat sein ganzes Herzblut in dieses Projekt gesteckt. Seiner Arbeit ist auch zu verdanken, dass es sich immer größerer Beliebtheit erfreute und weit über die Region hinaus bekannt wurde.

1955 ging Heinrich Ottenjann in den Ruhestand. Nachfolger wurde sein Sohn Helmut Ottenjann, der u.a. dem Museumsdorf zu internationalem Ansehen verhalf. 1996 bis 2018 übernahm Prof. Uwe Meiners die Leitung. Seit  2018 leitet Fr. Dr. Julia Schulte to Bühne das Museum.

Heute

Die Anlage umfasst auf mittlerweile 25 Hektar mit etwa 60 Bauwerken vom Ende des 15. Jahrhunderts bis in die Anfänge des 20. Jahrhunderts eine Zeitspanne von 500 Jahren. Entsprechend abwechslungs- und lehrreich ist die Besichtigung. Mittlerweile ist es nicht nur das älteste Freilichtmuseum Deutschlands sondern gilt auch als das älteste, nach wissenschaftlich-museologischen Maßstäben geführte Freilichtmuseum Mitteleuropas. Die jeweiligen Forschungaktivitäten werden in Zusammenarbeit mit den Universitäten Oldenburg, Osnabrück, Münster und Göttingen sowie den Fachhochschulen Hildesheim und Oldenburg geleistet.

Das Museum hat die Aufgabe ländliche Baudenkmäler Niedersachsens zu erforschen und wirklichkeitsgetreu auf dem Gelände zu präsentieren. Auch die alten Gewerke des ländlichen Raums sollen möglichst lückenlos erforscht und demonstriert werden. So gibt es viele und typische Beispiele alter Handwerksbetriebe zu besichtigen; Schusterwerkstatt, Tischlerei, Zimmermannswerkstatt, Brauhaus, Böttcherei, Blaufärberei, Sattlerei, Töpferei, Gold- und Silberschmiede sowie vier Mühlen.

Doch das Museum geht inzwischen auch neuere Wege und bezieht

regionale Kulturgeschichte der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts mit ein.

Dafür wurde die Landdiskothek „Zum Sonnenstein“ aus Harpstedt (Lkr. Oldenburg) beispielhaft für Jugend- und Freizeitkultur der Nachkriegszeit ins Museumsdorf geholt. Mit den Vorbereitungen für die umfangreiche Umsetzung begann man 2016. Das Richtfest wurde im September 2019 gefeiert. Die ursprünglich für Septmber 2020 geplante Einweihung  wurde aufgrund der Coronapandemie in den April 2021 verschoben. Ein Termin, den ich mir merken werde.

In den nächsten Jahren ist eine Erweiterung auf insgesamt 70 Gebäude geplant. So soll beispielsweise eine Tankstelle samt Werkstatt, ein Förster-Fertighaus, ein Tante-Emma-Laden, ein Ladengeschäft oder ein Friseur hinzukommen. In Sonderausstellungen werden die Fortschritte und wissenschaftlichen Projekte interessiertem Publikum präsentiert. Und davon gibt es genug; 280.000 Besucher sahen sich 2019 das Museumsdorf an.

Und das lohnt sich! Der unterhaltsame Weg durch die Geschichte ist für jedes

Alter interessant und definitiv mehr als nur einen Besuch wert.

Für mich war es besonders als Fotografin sehr ergiebig. So schöne Motive! Leider war aufgrund der Coronapandemie nicht alles zugänglich, bzw. nur jeweils alleine oder manchmal schon ‚besetzt‘. Da kann ich natürlich nicht wie gewohnt fotografieren. Wenn hinter mir schon die nächsten Besucher warten, muss ich mich etwas sputen. So habe ich nicht alles mit meiner Kamera dokumentieren können. Das ließ aber auch die Zeit nicht zu. Der Tag war viel zu schnell herum.

Für so ein großes Gelände mit so vielen Objekten plane ich normalerweise 2 Tage ein, was diesmal zeitlich nicht machbar gewesen ist. Das macht aber nichts, da ich weitere Besuche plane. Und darauf freue ich mich schon jetzt. Vielleicht habe ich auch Sie neugieirg gemacht? Das würde mich freuen. Wenn Sie gerne einen digitalen Rundgang durch das Museum machen möchten, schauen Sie in mein Portfolio: Museumsdorf Cloppenburg. Wenn Sie in meine Mühlengalerie schauen, finden Sie ebenfalls Fotos vom Museumsdorf: Windmühlen.

Gerne können Sie bei der Gelegenheit auch im Freilichtmuseum Skansen, Stockholm vorbeischauen: Skansen – eine Zeitreise.

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