Markthal Rotterdam
12. Oktober 2019

Ich bin begeisterte Architektur- und Reisefotografin. Ein Grund, mir nach einigen Jahren endlich noch einmal ein paar Städte in den Niederlanden anzusehen. Rotterdam war eine davon und was soll ich sagen? Die Stadt hat mich in ihrer Vielfalt mehr als begeistert.

Mein erster Weg führte mich zur vielgerühmten Markthalle im

Laurenskwartier; dem Zentrum des historischen Rotterdams.

Ich hatte einiges darüber gelesen und war entsprechend neugierig. Die an einen Hangar erinnernde Halle übertraf alle meine Erwartungen. Kein Wunder, denn vor Ort fließt in die baulichen Besonderheiten natürlich auch die Atmosphäre in und um die Halle herum ein.  Und die habe ich als bunt, wuselig, genießerisch, fröhlich und vielfältig wahrgenommen.

Natürlich wollte ich alles über diesen spektakulären Gebäudekomplex wissen. Wer hat ihn erbaut? Wie wurde ihn gebaut und was sind abgesehen von der Bauform weitere Besonderheiten? Ich bin keine Ingenieurin. Doch selbst mir als lediglich architekturbegeisterter Besucherin war schnell klar; hier steckt mehr dahinter als man sieht.

Und die Künstlerin in mir wollte natürlich auch wissen; wer hat die Decke so kreativ gestaltet? Fragen über Fragen, also mal wieder ran an den PC …

Die Anfänge

Alles begann mit einem Ideenwettbewerb des Projektentwicklers PROVAST für die Planung einer neuen, den bestehenden Wochenmarkt ergänzenden Markthalle in Rotterdam.  Dabei gab es zwei wichtige Kriterien. Die Halle sollte entsprechend einer EU-Verordnung, die den Verkauf von frischem Fisch und Fleisch im Freien untersagt, überdacht sein.

Außerdem sollte sie auf Wunsch der Stadt Kapazitäten für Dienstleistungen und Wohnraum schaffen. Die Ausschreibung gewann im Jahre 2004 das in Rotterdam ansässige und international renommierte Architekturbüro MVRDV. Gemeinsam mit dem Bauherren PROVAST wollte man ein Marktgebäude schaffen, dass dem Stadtgebiet Laurenskwartier neues Leben einhauchen sollte.

Das etwas heruntergekommene Viertel war zu diesem Zeitpunkt

in erster Linie von Bürobauten dominiert. Das sollte sich ändern.

MVRDV, gegründet 1993 von Winy Maas, Jacob van Rijs und Nathalie de Vries, war offensichtlich die richtige Wahl für das Vorhaben. Das innovative Architekturbüro wurde bereits für zahlreiche Projekte weltweit ausgezeichnet. 250 Architekten, Designer und Stadtforscher arbeiten für das Unternehmen. Die Referenzliste ist lang und weist beeindruckende Bauten ganz nach meinem Geschmack auf.

Mein Lieblingsprojekt; gemeinsam mit dem Tianjin Urban Planning Design Institute (TUPDI) haben sie die Tianjin Binhai Library entworfen. Für mich ist das eine der schönsten Bibliotheken der Welt. Nicht ohne Grund ist MVRDV ein für außergewöhnliche Entwürfe und Lösungen bekanntes Architekturbüro.

So auch bei dem Projekt in Rotterdam;  konzipiert von den Gründern entstand ein neues, urbanes Wahrzeichen in unmittelbarer Nachbarschaft zum größten Wochenmarkt der Stadt.

Eine Markthalle fern jeglicher Banalität

Mit der neuen Markthalle wurde im wahrsten Sinne des Wortes ein Bogen gespannt zwischen Konsum, Wohnen und Arbeiten. Anstelle einer ebenerdigen Grundfläche mit herkömmlichem Dach wurde eine hybride, gewölbte Gebäudeform entworfen. Das ungewöhnliche daran; zwei gegensätzliche Bautypen – Halle und Geschossbau – wurden zu einer innovativen Einheit.

Der in seiner Form an einen Hangar erinnernde Bau weist beachtliche 120 Meter Länge, 70 Meter Breite und 40 Meter Höhe am Scheitelpunkt des gewölbten Daches auf.

Das gesamte Gebäude ist 40 Meter hoch. Auf 2500 Bohrpfählen stehen 117.112 Tonnen Gesamtgewicht.  Zwei sogenannte Gebäuderiegel stehen sich über eine Länge von 120 Metern parallel gegenüber. Jeweils 11 Etagen neigen sich mit zunehmender Höhe im Innern der Halle einander zu.

Erreicht wird diese Stapelung durch das Versetzen eines jeden Obergeschosses gegenüber dem darunter liegenden. Erst mit der obersten Etage verbinden sich beide Riegel konstruktiv. Damit ist die Grundfläche von rund 8.400 qm² vollständig überdacht und entspricht den europäischen Vorschriften.

Die größten Seilnetzfassaden Europas

Schon aufgrund ihrer Form ist die Halle ein Gebäude ohne Rückseite. Sie lässt sich komplett durchqueren und ist von allen Seiten zugänglich. Um ausreichendes Tageslicht für die Marktstände zu gewährleisten, bleiben die beiden Schmalseiten des Gebäudes unverbaut und sind mit Glaskonstruktionen versehen. Sie verschließen die Stirnseiten und verhindern zudem das Eindringen von Wind und Regen.

Die Verglasungen wurden mittels Stahlgitternetzen angebracht.

Diese bestehen aus 9-15 cm dicken 26 Vertikal- und 22 Horizontalseilen sowie eigens angefertigten Knotenelementen aus Gussstahl. Die vorgespannten Seile bilden ein Raster, in das die Glasscheiben mittels Klemmhaltern eingefügt werden. Verankert ist das Ganze entlang der Hallenwölbung in einer ringartigen festen Betonkonstruktion.

Das Prinzip ist mit dem eines Tennisschlägers vergleichbar. Die Fassade selber bleibt beweglich und lässt eine Verformung bei Windlast zu. Das heißt konkret; bei schweren Stürmen kann sich die Glasfassade bis zu 70cm nach innen biegen ohne Schaden zu nehmen.

Wohnen und arbeiten mit Blick auf das Marktgeschehen

Der Wohnkomplex ist nach Bedarf aufgeteilt. Die beiden unteren Etagen sind für Büronutzung vorgesehen. Darüber beherbergt das Gebäude 102 Mietwohnungen von 80 bis 140 Quadratmetern und 128 Eigentumswohnungen mit bis zu 300 Quadratmetern. Die größten Wohneinheiten sind Penthouses und in den beiden letzten Obergeschossen untergebracht.

Alle tageslichtabhängigen Räumlichkeiten liegen logischerweise an den Außenseiten und verfügen über große Glasfronten. Großzügige in die Fassade eingelassene Loggien garantieren einen freien Blick nach draußen. Einschließlich der Balkonbrüstungen sind die Außenseiten der Halle vollständig verglast.

Die Hälfte der Wohnungen haben jeweils zwei Fenster zur Halle und ermöglichen den Blick auf das Markttreiben darunter. Schon aus Brandschutzgründen sind die dreifach verglasten Scheiben jedoch fest verschlossen. Mit zunehmender Neigung des Gebäudes müssen die Fenster gegebenenfalls auch zunehmenden Belastungen standhalten.

In den Penthouse-Wohnungen sind sie beinahe waagerecht angebracht und sollten nicht unbedingt betreten werden.

Die gesamte Versorgung der Halle, Geschäfte und Restaurants

erfolgt über die Untergeschosse, bzw. Lastenaufzüge.

So wird keiner der Bewohner durch diese Aktivitäten gestört. Ein unterirdischer Tunnel führt zu versteckten Aufzügen am Binnenrotte-Platz und ermöglicht die Belieferung des ebenfalls im Untergeschoss liegenden Supermarktes Albert Hijn, Etos und Gall & Gall. Außerdem im Untergeschoss; Abstellräume und gemeinsame Fahrradräume für die Bewohner.

Doch das ist längst nicht alles, was die unteren Ebenen zu bieten haben. Neben Parkraum für 1200 Fahrzeuge kann man hier auch archäologische Fundstücke bestaunen. Der Baugrund für die neue Markthalle ist genau an der Stelle, wo einst Rotterdam entstand. So kamen im Verlauf der Aushebungen des sumpfigen Geländes alte Münzen, angeschlagene Krüge und anderes zu Tage. Alles das wird in Glasvitrinen ausgestellt.

Wer hohe Türme bauen will, muss lange beim Fundament verweilen.

Aristoteles

Insgesamt gibt es vier Untergeschosse, die einen Aushub von 15 Metern erforderlich machten. Normalerweise kein Problem, doch hier lag der Grundwasserpegel gerade einmal 3 m unter dem Straßenniveau. Die nasse und damit instabile Baugrube erforderte besondere Tiefbauarbeiten, eine Spezialität niederländischer Ingenieurtechnik.  Die Bauarbeiten begannen im Januar 2009.

Zunächst stabilisierte man die Baugrube mit Spundwänden und schuf auf 2500 Betonpfählen das Fundament. Allein diese Arbeiten dauerten bis zum Herbst 2010. Als nächstes sicherte zusätzlich ein Stahlbetonrahmen die Grube und diente gleichzeitig als Tragwerk des 1. Untergeschosses. Archäologen untersuchten derweil die Funde der allerersten Siedlung aus dem Jahr 1270.

Spezialisten und Taucher am Werk

Nun wurde es schwierig; der auf Spundwände und Stahlbeton wirkende Druck musste durch Flutung der Baugrube ausgeglichen werden. Ein künstlicher See wurde angelegt. Spezialisten führten nun die weiteren Arbeiten unter Wasser durch. Schwimmende Kräne huben die Baugrube weiter aus. Taucher legten im Sommer 2011 die Bewehrung für eine 1,5 m dicke Betonplatte an und gossen sie – ebenfalls unter Wasser – in einem 72stündigen Einsatz. Erst dann konnte die Grube wieder abgepumpt und die vier Untergeschosse errichtet werden. Im Dezember 2012 waren die Arbeiten daran abgeschlossen.

Wege zu den Wohnungen

Sechs separate Eingänge führen zu den Wohnungen, die über Aufzüge und Doppelhelix-Flugtreppen erreicht werden können. Die Wölbung des Gebäudes wirkt sich auch auf die Aufzüge aus. Größe und Lage verändern sich mit jedem Obergeschoss. Während sich im Erdgeschoss die Fahrstühle auf der Innenseite befinden, verlagern sie sich bis zur letzten Etage schrittweise zur Außenfassade.

Energieeffizienz

Man fragt sich natürlich auch angesichts der aktuellen Klimathematik wie ökologisch ist das Gebäude, bzw. kann es das überhaupt sein? Innerhalb des Marktes lassen sich an einer Informationstafel Energieverbrauch und CO2-Einsparung des Gebäudes ablesen. Ein Indiz für nachhaltiges Bauen? Eindeutig ja, wenn auch mit Luft nach oben.

Aber immerhin erhielt die Markthal ein BREEAM Very Good Zertifikat. Dieses in Großbritannien entwickelte Gebäudezertifizierungssystem bewertet nachhaltige Planung sowie Bau und Betrieb. Es umfasst fünf Zertifizierungsstufen: Pass, Good, Very Good, Excellent und Outstanding. Jede Stufe gilt immer nur für ein Jahr und muss jährlich bestätigt, beziehungsweise jährlich neu auditiert und zertifiziert werden.

Und wie funktioniert die Klimatisierung eines solchen Gebäudes?

Ich hatte einmal einen Wohnraum mit einer Höhe von ca. 5 Metern am Scheitelpunkt. Nur zu gut erinnere ich mich an den riesigen Ventilator an der Decke um die aufsteigende Wärme gleichmäßiger im Raum zu verteilen. Beim Anblick der riesigen Halle fragte ich mich, wie geht das alles wohl hier?

Um ein angenehmes Raumklima mit geringem Energieverbrauch zu schaffen wurde intensiv geforscht und entwickelt. Die Belüftung erfolgt ganz natürlich über ein thermisches System. Die unter der Glasfassade einströmende Frischluft steigt nach oben und strömt durch Lüftungsschächte im Dach wieder aus.

Unter dem Gebäude befindet sich ein Wärmespeichersystem

das auch einige benachbarte Bauten mit bedient.

Darüber hinaus ist die Markthalle mit einer Stadtheizung verbunden. Ein zentrales Überwachungssystem im Gebäude tauscht Wärme und Kälte zwischen den verschiedenen Programmen aus. So benötigte man weniger Installationstechnik. Die Kombination von Wohnen, Einkaufszentrum, Parkplatz und Markthalle macht alles effizienter. Ein intelligentes Sanitärsystem hilft Wasser zu sparen.

Am 1. Oktober 2014 wurde der farbenfrohe Hybrid durch Königin Máxima feierlich eröffnet. Seitdem haben bereits Millionen begeisterter Menschen die Halle durchquert. Diese Besucherzahlen haben bisher jegliche Erwartungen übertroffen. Und das verwundert mich nicht.

96 Marktbuden aus grau mattiertem Stahl in drei Doppelreihen und acht Restaurants füllen die Halle und mit frischen, unverpackten Produkten auch die Mägen der Besucher. Von der typisch holländischen Frikandel bis hin zu unzähligen anderen Delikatessen und Gewürzen gibt es hier wohl etwas für jeden Geschmack.

Die Leckereien laden auf eine kleine Weltreise ein, von der deutschen Currywurst und Wiener Schnitzel über indische, libanische und chinesische Küche sind hier viele Länder vertreten. Warme und kalte Speisen, Käse, Wurst, Gebäck, Pralinen, Obst und Gewürze, in der Halle werden alle Sinne bedient.

Mein Tipp; gehen Sie mit leerem Magen hinein

und genießen Sie, was sich dort bietet.

Die Preise fand ich übrigens vergleichsweise erstaunlich niedrig. Definitiv lässt es sich hier köstlich einmal quer durch die große Halle schlemmen. Das Schöne auch; trotz der vielen Menschen geht es – ganz typisch holländisch – sehr gesellig zu. Alle genießen und sind entspannt und staunend unterwegs. Ein Besuch lohnt sich wirklich in jeder Hinsicht.

Praktisch, diese Halterungen für die Pommes-Tüten, so hat man angenehmerweise keine heiße Tüte in der Hand:

Doch das Highlight der Markhalle ist unbestritten die Deckengestaltung.

Unglaubliche 11.000 Quadratmeter Innenfläche des Gewölbes sind bedeckt vom „Hoorn des Overfloeds“ (Füllhorn); einem Werk der beiden ortsansässigen Künstler Arno Coenen und Iris Roskam. Erzeugt mit Software, die in Hollywood für Animationsfilme verwendet wird, entstand ein 1,4 Terabyte umfassendes, fotorealistisches Kunstwerk.

Auf insgesamt 4500 Aluminium-Paneele per Digitaldruck übertragen, stellt es Blumen, Getreide, Brot, Früchte, Gemüse und Tiere im Sonnenlicht dar. Von unten besehen sieht es aus, als läge man mitten in einer Sommerwiese.  Die Montage der vielen Paneele war sicher nicht ohne. Ob sich die Handwerker nicht wie in einem großen Riesenpuzzle gefühlt haben müssen?

Bei dieser Installation hätte ich gerne zugeschaut. Definitiv ist es eine einzigartige künstlerische Arbeit, die schon aufgrund der leuchtenden Farben eine besondere Stimmung verbreitet.

 Mein Resümee; die bunte, fröhliche und die Halle so prägende Deckengestaltung spiegelt sich im quirligen Markttreiben wider. Für mich ist es eine sehr gelungene Kombination aus Staunen und Genießen, die ich noch oft erleben möchte. Schon bald muss, oder besser gesagt ‚darf‘ ich wieder nach Rotterdam. Der Besuch der Markthalle steht dabei auf der Liste für jeden einzelnen Tag, den ich in dieser Stadt sein werde.

Sehen Sie hier die Fotogalerie zum Beitrag: Markthal Rotterdam.

Literatur und weiterführende Links:

– BauNetz. „Markthalle in Rotterdam | Glas | Sonderbauten | Baunetz_Wissen“. Baunetz Wissen. Zugegriffen 2. Juni 2022. https://www.baunetzwissen.de/glas/objekte/sonderbauten/markthalle-in-rotterdam-4380113.
– „BAUWELT – Markthal Rotterdam“. Zugegriffen 2. Juni 2022. https://www.bauwelt.de/rubriken/bauten/Markthal-Rotterdam-MVRDV-Markthalle-Grossform-2217557.html.
– Boarding Completed. „Die Markthalle in Rotterdam: Renaissance der Event-Architektur“, 29. März 2022. https://boardingcompleted.me/2022/03/29/markthalle-in-rotterdam-architektur/.
– GRACHTEN UND GIEBEL. „Die Markthalle von Rotterdam: Wiedergeburt der Event-Architektur“, 11. Oktober 2014. https://grachtenundgiebel.de/2014/10/die-markthalle-von-rotterdam-wiedergeburt-der-event-architektur/.
– „Futuristisch Einkaufen: Markthalle von MVRDV in Rotterdam“. Zugegriffen 2. Juni 2022. https://www.detail.de/de/de_de/futuristisch-einkaufen-markthalle-von-mvrdv-in-rotterdam-12557.
– Kieffer, Rob. „Das neue Rotterdam: Das kann doch einen Seemann nicht erschüttern“. FAZ.NET. Zugegriffen 2. Juni 2022. https://www.faz.net/aktuell/reise/wie-rotterdam-sein-image-einer-haesslichen-hafenstadt-abstreift-17536417.html.
– „Markt mal anders: Die Markthalle in Rotterdam“. Zugegriffen 2. Juni 2022. https://ixtenso.de/store-design/markt-mal-anders-die-markthalle-in-rotterdam.html.
– „Markthal in Rotterdam | City Rotterdam | Stadsgids Rotterdam“. Zugegriffen 2. Juni 2022. https://www.cityrotterdam.com/de/attraktionen/sehenswuerdigkeiten-rotterdam/markthal-rotterdam/.
– „Markthalle (Rotterdam)“. In Wikipedia, 13. April 2022. https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Markthalle_(Rotterdam)&oldid=222030575.
– Tornow, Sven-Erik. „Die »Markthal« in Rotterdam überdacht nicht nur die Marktstände, sondern bietet auch Raum für Wohnungen. Das bogenförmige Dach wurde mit einer Kunststoffbahn abgedichtet.“, 2015, 3.

 

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