Lüttich – Liège – Luik
27. August 2017

Letztens musste ich in Sachen Fotografie nach Lüttich.

Von Aachen, meinem ursprünglichen Wohn- und Geburtsort, sind es nur etwa 40km bis zum Zielort. Inzwischen wohne ich etwas weiter weg und so sind 20 weitere Kilometer hinzugekommen. Mit dem Zug reise ich relativ schnell und unkompliziert dorthin. Schon die Fahrt durch die belgische Wallonie ist wunderschön und entspannend.

Allerdings leide ich wie üblich beim Blick aus dem Zugfenster immer etwas, denn ich sehe ein schönes Fotomotiv nach dem anderen an mir vorbeifliegen. Wie gerne würde ich da immer mal wieder aussteigen. Zum Trost habe ich mir vorgenommen, diese ganzen kleinen Ortschaften der Zugstrecke entlang gelegen, irgendwann einmal in Ruhe anzuschauen und zu fotografieren.

Doch noch bin ich voll und ganz mit Lüttich beschäftigt. Die belgische Stadt liegt an den Flüssen Maas und Ourthe nicht weit von den deutschen und niederländischen Grenzen entfernt.

Liège, wie sie amtlich heißt, ist die Hauptstadt der Provinz

Lüttich und das kulturelle Zentrum der Wallonie.

Sie beherbergt knapp 200.000 Einwohner und verfügt über eine Universität, Hochschulen, eine Oper und viele Museen. Mitten in der historischen Altstadt findet sich reichlich Gelegenheit zum shoppen. Wer daran Freude hat, ist hier genau richtig. Auch Kulinarik kommt nicht zu kurz. Ganz bekannt sind neben den leckeren und beliebten belgischen Fritten auch die Lütticher Waffeln.

Kaum ein Aachener, der Lüttich nicht kennt. Der sonntägliche Flohmarkt ist über die Region hinaus bekannt und beliebt. Als Kind war ich öfter mit der Familie dort. Noch heute weiß ich, worauf ich mich immer am meisten freute; belgische Fritten! Seit meinem letzten Besuch sind nun schon 30 Jahre vergangen.

In Erinnerung geblieben war mir ein kleiner – die Belgier mögen es mir verzeihen – schmuddeliger Ort. Doch mit der Wahrnehmung und vor allem mit Erinnerungen aus Kindertagen ist das ja so eine Sache. Nun musste ich also nach so langer Zeit wieder dorthin.

Mir war klar, wieviel sich dort inzwischen verändert haben musste. Doch würde es mir heute besser gefallen? Etwas skeptisch saß ich also nun im Zug. Wie immer vor so einer Fototour hatte ich umfassend recherchiert.

Mein einziges festes Ziel war der Bahnhof Liège-Guillemins.

Natürlich wollte ich den Tag nutzen und mir auch die Stadt anschauen. Dazu lege ich gewöhnlich via Internet fest, was ich mir wo anschauen möchte und plane die bestmögliche, effizienteste Laufroute. Ein bewährtes Verfahren, das mir vor Ort die nötige Ruhe und Entspannung gibt, meiner Arbeit als Fotografin nachzukommen.

Aber irgendwie war mir das zu Lüttich nicht gelungen. Je mehr ich mir am PC angesehen hatte, desto konfuser wurde ich. Die Stadt schien unüberschaubar. Ich beschloss, nach Erledigung des Bahnhofes einfach mal auf gut Glück mit der Kamera durch die Stadt zu laufen.

Ich hatte einige sehenswerte Motive im Kopf, doch weder Erwartungen noch eine zu erledigende Fotoliste. Und warum sollte ich mich nicht mal ganz entspannt treiben lassen? Mehr Freizeit als Arbeit sozusagen …

Liège-Guillemins

Der Bahnhof enttäuschte mich nicht. Wer wie ich ein Faible für moderne Architektur hat, ist hier genau richtig. Liège-Guillemins ist der wichtigste Bahnhof der Stadt und der gesamten Region Wallonien. Mehr als 500 Züge verkehren dort täglich.

Der alte Bahnhof konnte mit dem Zeitalter der Hochgeschwindigkeitszüge nicht mehr mithalten. Insgesamt viel zu klein und heruntergekommen, mit zu schmalen und stark gekrümmten Bahngleisen bot er nicht die notwendigen Voraussetzungen für einen Knotenpunkt im Hochgeschwindigkeitsnetz. Ein neuer Bahnhof war dringend erforderlich. Ein internationaler Wettbewerb wurde ausgeschrieben.

Den Zuschlag erhielt Santiago Calatrava Valls.

Der berühmte spanisch-schweizerische Architekt, Bauingenieur und Künstler begann mit den Planungen des neuen Bahnhofs 1996. Fertigstellung und Eröffnung erfolgten erst 2009. Der Bau verschlang 312 Millionen Euro und 10.000 Tonnen Stahl. Doch das Ergebnis kann sich sehen lassen.

Der neue Bahnhof beeindruckt durch eine futuristisch anmutende, fließende Bauweise aus Stahl, Glas und weißem Beton. Ein monumentaler Baldachin mit dem Spitznamen „die Mütze“ erhebt sich über den Gleisen wie ein Gewölbe.

Getragen wird er von neununddreißig, bis zu 40m hohen, Stahlbögen und misst in etwa eine Länge von 200 Metern.

Starre Fassaden sucht man vergeblich; Außen- und Innenbereich gehen fließend ineinander über. Alles wirkt luftig, leicht und hell. Neben normalen Treppen verbinden Rolltreppen und gläserne Aufzüge drei Ebenen miteinander.

Große Freitreppen führen in den Bahnhof hinein bzw. direkt hinaus in die Innenstadt. Im Geschoss unter den Gleisen findet man die für Bahnhöfe so typischen Einkaufsmöglichkeiten.

Weitere Fotos des Bahnhofes finden Sie in der dazugehörigen Galerie.

Etwa zwei Stunden lang fotografierte ich den Bahnhof samt modern gestaltetem Vorplatz voller Begeisterung. Mehr als 200 Fotos reicher machte ich mich im Anschluss auf den Weg in die Stadt. Als Wolkenkratzerbegeisterte betrachtete ich den nahen Paradis Tower.

Doch dieser Bau mit vollem Namen „Tour des Finances de Liège“ (dt: Finanz-Turm zu Lüttich) passt nicht wirklich zu Lüttich. Wie zufällig hineingepflanzt und ohne jegliche Einbindung in die typisch belgische Umgebung steht er da. Die Redewendung ‚fehl am Platze‘ passt hier wortwörtlich.

Zunächst steuerte ich den Parc de la Boverie an.

Er liegt auf einer kleinen Insel zwischen Maas und Derivation unweit des Bahnhofes. Die wunderschöne Anlage beherbergt das Lütticher Kunst- und Ausstellungszentrum La Boverie. Das Museum für Schöne Künste wurde ursprünglich für die Weltausstellung 1905 gebaut und zeigt heute Kunst auf internationalem, hohen Niveau.

Ebenfalls im Park angesiedelt ist der Kongresspalast.

Der Park ist eine kleine grüne Oase inmitten der Stadt. Das Besondere der Idylle sind die Bäume. Nicht nur seltene Arten, sondern auch beeindruckende Ausmaße sind hier zu bestaunen. Ein Beispiel ist die vermutlich im Jahr 1863 gepflanzte echte Sumpfzypresse.

Mit einem Stammumfang von fast 4,70 Metern und einer Höhe von knapp 38 Metern (Stand August 2016) ist sie wohl monumental zu nennen.

Vom Park aus schlenderte ich den Maasboulevard entlang Richtung Innenstadt. Was ich sah, war wenig einladend. Heruntergekommen wirkende Hochhausburgen säumen die Flussufer zu beiden Seiten. Unterbrochen von Seitenstraßen und kleineren, ursprünglichen Gebäuden, die scheinbar trotzig ihren Platz behaupten.

Als ich irgendwann den Eindruck gewann, auf der gegenüberliegenden Flussseite könnte die Altstadt liegen, überquerte ich eine der vielen Brücken. Ich landete in einem unüberschaubaren Straßengeflecht, in dem ich mich schnell verlor. Gott sei Dank entdeckte ich einen Hinweis auf die Touristeninformation.

Prima, dachte ich, da hole ich mir einen Stadtplan. Doch dann wurde ich von immer neuen Schildern einmal quer durch die Altstadt geschleust und verlor vollends die Orientierung. War ich froh, als ich endlich mein Ziel erreichte. Ausgestattet mit ein paar Erklärungen und einem Stadtplan fand ich mich dann schon besser zurecht.

Leider begann es ziemlich stark zu regnen. Also Regencape für mich und die Kamera ausgepackt – man ist ja auf alles vorbereitet – und weiter ging’s. Doch Reisefotografie macht einfach bei Regen keinen Spaß. Man kann das Objektiv nicht in die Höhe richten. Irgendwie schaffte ich es aber, weiter zu fotografieren. Am späteren Nachmittag fand ich endlich wonach ich gesucht hatte; typische Altstadthäuser und Straßen. Ich war begeistert über diese Motive.

 

Am späten Nachmittag kam die Sonne wieder heraus. Doch inzwischen war ich nur noch müde. Seit 10 Stunden war ich unterwegs, davon 8 Stunden nur herumgelaufen. Die nahegelegene Bahnstation Liège-Palais war meine Rettung! Den Weg zum Bahnhof Liège-Guillemins zurück hätte ich definitiv zu Fuß nicht mehr geschafft.

Jetzt konnte ich mich bequem auf die Heimreise begeben. Im Zug zog ich erste Bilanz. Ein sehenswerter Bahnhof, schäbig wirkende Maasufer, eine unüberschaubare Altstadt und leider auch nicht wenige heruntergekommene Häuser. Nein, vorerst würde mich nichts mehr nach Lüttich ziehen. Nur in einem war ich mir sicher; ich hatte trotzdem viele schöne Fotos gemacht.

Liebe auf den zweiten Blick

Doch dann kam alles ganz anders. Am nächsten Tag sichtete ich gespannt die vielen Aufnahmen. Zu meiner Überraschung entdeckte ich darin eine andere Stadt als ich am Vortag empfunden hatte. Vor allem wurde mir klar, dass ich nur einen Bruchteil gesehen hatte. Mein Gesamteindruck war daher wohl eher einseitig ausgefallen.

Zudem entdeckte ich vielversprechende Ausschnitte im Hintergrund, die mich neugierig machten. Und so fasste ich den Entschluss, noch einmal nach Lüttich zu reisen. Ich nahm mir vor, die Stadt jetzt umfassend zu erkunden und vor allem die eher unbekannten Seiten zu entdecken.

Gedacht, geplant und getan; nur eine Woche später saß ich wieder im Zug.

Was ich bei diesem Besuch gesehen und fotografiert habe, ist eine andere Geschichte. Nur so viel schon einmal vorab; ich habe mich verliebt! Nein nicht mein Traummann lief mir über den Weg. Ich habe mich in Lüttich verliebt; wenn auch auf den zweiten Blick.

Die vielen Seiten der belgischen Stadt sind spannend zu entdecken und wunderschön zu fotografieren. Bis ich genug gesehen und dokumentiert habe, werden sicher noch mindestens zwei weitere Reisen notwendig sein. Und denen sehe ich mit Freuden entgegen. Doch von all dem mehr im nächsten Blogbeitrag …

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