Beginen, eine besondere Frauenbewegung
15. September 2016

Erstmals habe ich nun in Brügge einen Beginenhof besucht. Da es zu meinen Fotogalerien möglichst auch einen Blogbeitrag gibt, tauchte ich erstmal per Recherche in die Welt der Beginen ein. Schnell stellte ich fest; das ist ein spannendes Thema besonders für Frauen.

Leider ist das Beginentum noch nicht so sehr erforscht. So fand ich nur wenige wissenschaftlich ausgerichtete Beiträge. Das erklärt wohl auch die widersprüchlichen Angaben und unterschiedlichen Erklärungen, die mir im Zuge meiner Recherchen auffielen.

Zudem gibt es kaum umfassende Literatur, bzw. Fachberichte. Man findet eher auf einzelne Länder, bzw. Regionen bezogene Beiträge. So gleicht meine Recherche beinahe einem Puzzle, das es zusammenzufügen gilt. So habe ich in den letzten Tagen ziemlich viel gelesen, um mir einen guten und möglichst Tatsachen entsprechenden Überblick zu verschaffen.

Je tiefer ich in die Materie eindrang, desto spannender fand ich sie. Sogar auf digitalisierte Kirchendokumente aus dem Jahre 1374 bin ich gestoßen. Nun habe ich – wie so oft – mal wieder Blut geleckt. Der Besuch weiterer Beginenhöfe ist bereits geplant. Die bisherigen Recherchen möchte ich über entsprechende Fachdatenbanken vertiefen. Jetzt will ich alles wissen! 🙂

Der folgende Beitrag ist daher erst mal nicht mehr als eine grobe Zusammenfassung eines sehr komplexen Themas. Ich habe versucht, das Wichtigste und Interessanteste hineinzupacken. Am Ende finden Sie eine weiterführende Literatur- und Linkliste u.a. der zugrunde liegenden Quellen.

Die Beginenbewegung geht auf das Mittelalter zurück und hat ihren Ursprung Ende des 12. Jahrhunderts in Flandern.

Von dort verbreitete sich diese Lebensform über West- und Mitteleuropa. Der Begriff „Begine“ wird in Deutschland erstmals 1223 in einer Schenkungsurkunde erwähnt. Weder Ursprung noch Bedeutung des Namens lassen sich eindeutig nachweisen. So gibt es nur unterschiedliche, vage Vermutungen dazu.

Beginen (Begarden=männliche Form) waren unabhängige Frauen, die eine spirituelle, demokratische Gemeinschaft bildeten. Werte wie Bescheidenheit, Solidarität und religiöse Ernsthaftigkeit sollten ihr Leben bestimmen. Unabhängig von der Kirche, deren Autorität sie ablehnten oder in Frage stellten, organisierten Sie ihre Gemeinschaften selbst.

Sie legten kein Gelübde ab, versprachen jedoch für die Zeit ihrer Zugehörigkeit ein Leben in apostolischer Armut und Keuschheit. Es gab jeweils für ein oder zwei Jahre eine gewählte Vorsteherin; die Grande Dame. Sie achtete auf die Einhaltung der Regeln.

Die ersten Beginen waren hochgebildet und wohlhabend.

Sie brachten ihr Vermögen, Güter und berufliche Fähigkeiten in die Konvente ein. Unter ihnen waren anerkannte Philosophinnen und Literatinnen sowie einige der  bedeutendsten Mystikerinnen des Mittelalters. Mechthild von Magdeburg und Marguerite Porete zählen zweifelsfrei dazu.

Waren Beginen zunächst noch ausschließlich Frauen aus dem Adel oder Mittelstand,  schlossen sich später Mädchen und Frauen aller Schichten an. 1216 wurden sie von  Papst Honorius III als religiöse Laienwohngemeinschaft anerkannt.

Einige der Laienschwestern wanderten auch alleine oder in kleinen Gruppen durch das Land. Sie bestritten ihren Lebensunterhalt durch Bettelei und wurden schweifende oder auch fluktuierende Beginen genannt.

„Beginentum – Lebensform emanzipierter Frauen“

Die meisten Beginen bauten, kauften oder mieteten mit eigenem Geld oder Geldern aus Stiftungen adliger Frauen, Schenkungen oder Erbschaften ein oder mehrere Stadthäuser. Charakteristisch für Beginenhöfe ist die in sich geschlossene Anlage. Die hinter Wassergräben, Mauern und Vorgärten liegenden Häuser weisen die ebenfalls typischen Fensterfassaden und Türen auf.

Manche Beginenhöfe hatten die Struktur eines Dorfes. Die Anwesen waren unterschiedlicher Größe. Diese richtete sich meist an der regionalen Bedeutung der jeweiligen Stadt aus. In Paris gab es im 13. Jahrhundert ein Beginenhaus für 400 Frauen. Der St. Elisabeth-Beginenhof in Gent, in dem zeitweilig bis zu 900 Mitglieder lebten, war wohl der Größte. Manche hatten den Status eigenständiger Kirchengemeinden.

Ein Beginenkonvent war aus heutiger Sicht eine Lebensform emanzipierter, christlicher Frauen, die weder in ein Kloster eintreten noch sich dem patriarchalischen Herrschaftssystem unterwerfen wollten. Sie lebten  selbständig und unabhängig in einer demokratischen, finanziell gesicherten, spirituellen Gemeinschaft.

Diese konnten sie jederzeit ohne Angaben von Gründen wieder verlassen und sich wieder dem bürgerlichen Leben zuwenden, bzw. heiraten. Eventuell zuvor in die Gemeinschaft eingebrachtes Vermögen durften sie bis auf das bereits verbrauchte Geld wieder mitnehmen.

„Eine Jede möge sich durch ihrer eigenen Hände Arbeit ernähren können.“

Als Unternehmerinnen, Handwerkerinnen, Künstlerinnen und in allen Heil- und Lehrberufen sorgten sie selber für ihren Lebensunterhalt. Sie arbeiteten als Hebammen, Lehrerinnen, Seidenweberinnen, Spinnerinnen, Wäscherinnen. Tuchmacherinnen, klöppelten Spitze und stickten Wappen. Sie brauten Bier und betrieben Mädchenschulen, stellten Seife, Kerzen und Wachsfackeln her, buken Hostien und Brot.

Die Hauptbeschäftigung der Beginen waren jedoch im karitativen Bereich; Krankenpflege und Totenwache. Die z.T. erheblichen Verdienste flossen in die Gemeinschaft und Versorgung der Armen und Kranken. Manche Konvente waren – auch Dank steuerlicher Privilegien – finanziell sehr erfolgreich und vermögend.

Anfeindungen und Kampf mit der Kirche

Die Beginenbewegung weitete sich immer mehr und schneller aus. Doch die Zünfte störten sich zunehmend an der wirtschaftlichen Konkurrenz. Auch städtischen Honoratioren und allen voran dem Klerus waren die autarken Frauen ein Dorn im Auge. Insbesondere die deutschen Bischöfe bekämpften die Bewegung.

Im Jahre 1311 entzog Papst Clemens der V. den Beginen die Anerkennung als laienreligiöse Gemeinschaft wieder. Im 14. Jahrhundert wurden sie im Zuge der Inquisition immer wieder verfolgt, der Ketzerei bezichtigt und verurteilt. Besonders unter Papst Urban V. hatten Beginen und Begarden zu leiden.

Der Kampf mit der Kirche wandelte sich von Jahrhundert

zu Jahrhundert und von Papst zu Papst.

Eugen IV. stellte die „rechtgläubigen“ Beginen Mitte des 15. Jahrhunderts wieder unter den Schutz der Kirche. Papst Nikolaus V.  nahm 1453 alle damals noch bestehenden Konvente in den Schoß der Kirche auf und verlieh ihnen die Rechte der Tertiarier. Im Jahr 1566 wiederum verfügte Papst Pius V. die Auflösung der Beginenhöfe oder wahlweise Umwandlung in Klöster.

Die religiösen Umbrüche des 16. Jahrhunderts hatten ebenfalls Auswirkung. Im Zuge der Reformation löste sich die Beginenkultur weitgehend auf. In Holland war das Zusammenleben alleinstehender katholischer Frauen gänzlich verboten. In Deutschland wandelten sich notgedrungen Beginenkonvente in Klöster um.

Einzig in Belgien existierten einige Beginenhöfe bis in die Neuzeit hinein weiter.

Die Beginen hatten kein einfaches Leben. Durch die Jahrhunderte waren sie ständig sexueller Gewalt, falschen Anschuldigungen und Verfolgung ausgesetzt. Auch die Auseinandersetzung mit der Kirche war ein stetiger Kampf. Und doch überdauerte ihre Bewegung 900 Jahre.

Die letzte Begine Marcella Pattyn starb 2013 im Alter von 91 Jahren. Inzwischen erlebt die beginale Lebensweise eine Renaissance. Neue, moderne Beginenhöfe gibt es mit steigender Tendenz in Deutschland und Belgien.

Der Beginenhof in Brügge

1998 ernannte die UNESCO 12 Beginenhöfe in Belgien zum Weltkulturerbe.

Darunter auch „Ten Wijngaerde“ (zum Weingarten). Das Anwesen liegt im Süden Brügges an der ehemaligen Stadtbefestigung Minnewater. Es entstand, gestiftet von Johanna von Konstantinopel, Gräfin von Flandern, um 1230. Ab 1299 unterstand er dem französischen König Philip dem Schönen und war damit vor dem Magistrat der Stadt Brugge geschützt.

Im 15. Jahrhundert sollen im Ten Wijngaarde bis zu 150 Beginen gelebt haben. Ebenfalls dazu gehörte ein eigener Bauernhof und eine Brauerei. Von ehemals ca. 60 Häusern existieren noch 32. Der Großteil der erhaltenen Gebäude stammt aus der Zeit des 16.-18., die ältesten Bausubstanzen aus dem 13. Jahrhundert.

1939 wurde der Beginenhof bereits zum schützenswerten Monument erklärt. Seit 1972 ist er Eigentum der Stadt und steht unter der baulichen Obhut der Denkmalbehörde. Rainer Maria Rilke schrieb übrigens ein wunderbares Gedicht über Ten Wijngaarde: Béguinage Sainte-Elisabeth, Brügge

Noch immer lebt auf dem flandrischen Beginenhof eine Gemeinschaft frommer Frauen.

Seit 1927 ist Ten Wijngaerde das Zuhause eines Benediktinerklosters. Ungewöhnlich; die letzte Grande Dame der Beginen wurde damals Priorin. Seitdem gab es keine Beginen mehr in Brügge.

Betritt man durch eines der Eingangstore das von Mauern und Wassergräben umschlossene Gelände, wird man sogleich eingefangen von wohltuender Stille und einer besonderen Atmosphäre. Die kleinen Wohnhäuser, gruppiert um die Grünfläche im Innenhof, sehen aus wie gemalt.

Von Zeit zu Zeit huschen freundliche grüßende Nonnen über das Gelände.

Es ist ein wohltuender Ort, abseits des enormen Touristenrummels der Stadt. Eine Oase für die Seele und mein absoluter Favorit aller Sehenswürdigkeiten Brügges.

Meine bisherige Literatur- und Linkliste zum Thema finden Sie hier: Literatur (pdf)

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